Dieser Artikel von Katharina Schindler über Toni Rüttimann, ist am 24. 6. 2007 in der Südostschweiz- Sonntagsausgabe erschienen.
In leicht veränderter Form ist er im Web auf Swissinfo veröffentlicht.
Der "Weltklassehelfer" Toni el Suizo aus Pontresina
Die ersten Brücken von "Toni el Suizo", wie ihn die Einheimischen in Lateinamerika nennen, entstanden vor 20 Jahren. Damals reiste Toni Rüttimann nach Ecuador, um Erdbebenopfern zu helfen.
Mittlerweile hat der Bündner aus altem Material und zusammen mit der lokalen Bevölkerung über 350 Hängebrücken gebaut, in Lateinamerika, Kambodscha und Vietnam.
800'000 Menschen in zehn Ländern haben heute dank diesen Brücken Zugang zu Schulen, Märkten oder Spitälern.
"Das macht einen Unterschied", sagt Toni Rüttimann. Und genau darum gehe es ihm, wenn er, wie kürzlich an einer Traverse-Veranstaltung der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) in Bern, über seine Arbeit erzähle: "Ich will zeigen, dass man mit seinem Willen und seinem Einsatz etwas bewirken kann."
Angefangen hatte alles vor 20 Jahren, als der Maturand Toni Rüttimann im Fernsehen Berichte über ein schweres Erdbeben in Ecuador sah. Die Bilder verzweifelter Menschen erschütterten ihn. Zwei Wochen später, nach bestandener Matura, flog Rüttimann ins Katastrophengebiet.
"Ich wollte helfen", sagt er – ein Leitsatz, der bis heute sein Leben bestimmt. In Ecuador lernte er einen holländischen Ingenieur kennen. Gemeinsam konstruierten sie eine erste Hängebrücke, um den Erdbebenopfern Zugang zu lebenswichtiger Versorgung zu verschaffen.
Drei weitere Brücken folgten, bevor Rüttimann in die Schweiz zurückkehrte - mit dem Plan, Bauingenieur zu werden.
Viele Freiwillige Helfer
Nur gerade sechs Wochen hielt er es an der ETH aus, dann brach er das Studium ab und kehrte zurück nach Lateinamerika. "Ich wusste, dass mich die Menschen dort brauchen", sagt er.
Zuerst setzte er seine Arbeit in Ecuador fort, nach dem Hurrikan Mitch 1998 eilte er in andere mittelamerikanische Länder zu Hilfe. Dutzende Brücken entstanden dort in immer schnellerem Tempo.
Er müsse nie jemanden zur Mitarbeit motivieren, sagt "Toni el Suizo", wie er in Lateinamerika von vielen genannt wird. "Ich komme in Arbeitskleidern, habe das Material dabei, zeige ein paar Fotos und sage: Wenn ihr wollt, können wir beginnen, gleich morgen."
Stets fänden sich mehr als genug Freiwillige, die beim Brückenbau Hand anlegten: Holz schleppten, Beton mischten, Stahlseile verschraubten. In einem abgelegenen Dorf könne eine Brücke die Lebenssituation der Menschen entscheidend verbessern - in Lateinamerika genauso wie in Kambodscha oder Vietnam, wo Rüttimann seit sechs Jahren ebenfalls arbeitet.
Das "Toni-Syndrom"
Viel Zeit und Energie steckt der Brückenbauer in die Materialbeschaffung. Stets ist er auf der Suche nach ausgedienten Pipeline-Röhren und Stahlseilen, den Grundelementen seiner einfachen Brücken-Konstruktionen. Seit zwei Jahren bezieht er die Seile aus der Schweiz.
Er habe halt das "Toni-Syndrom", begründet Fulvio Sartori, Vizedirektor bei Seilbahnen Schweiz, weshalb der Verband Rüttimann kilometer- und tonnenweise mit kostenlosen, ausgemusterten Sessel- und Gondelbahntragseilen versorgt.
Auch sonst hat Rüttimann viele Fans und Gönner, vor allem aus seinem Heimatkanton Graubünden.
Die 361. Hängebrücke
Rückschläge gab es trotzdem. Vor drei Jahren erkrankte Rüttimann an einer seltenen Nevenkrankheit und musste über ein Jahr in Thailand in Spitälern und Rehabilitationszentren verbringen. "Die Krankheit hatte auch ihr Gutes", sagt er heute. Ans Bett gefesselt entwickelte er ein auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Computerprogramm.
Seither kann er Bauprojekte in Lateinamerika, Vietnam und Kambodscha, die von je einem engen Mitarbeiter betreut werden, vom Laptop aus berechnen und begleiten.
Mehr braucht er für die Administration nicht, Toni el Suizo hat nicht einmal ein Büro.
Wenn er von den Anfängen redet, erfasst ihn leise Nostalgie. Nach seiner vierten Brücke, an der er zwei Jahre lang baute, habe er gedacht: "Jetzt habe ich etwas Sinnvolles gemacht aus meinem Leben." Zwanzig Jahre später sind es 361 Brücken – und Rüttimann ist noch nicht am Ziel.
"Ich sehe die Not der Menschen und ich weiss, dass ich etwas bewirken kann", sagt Rüttimann. So wie andere ihre ganze Zeit, Kraft und Energie investierten, um Weltklassesportler zu werden, so gebe auch er alles für ein grosses Ziel: "Ich will Weltklassehelfer werden."
swissinfo und Katharina Schindler, InfoSüd